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Ist die Welt besser, als wir denken?

Dr. Hubert Messner hat im Klinikum Bozen 15 000 frühgeborenen Kindern ins Leben geholfen. Von diesen Kleinen könnten wir Großen Resilienz, Überlebenswillen und Positivität lernen, glaubt der frühere Chefarzt – und plädiert für mehr Optimismus in Krisenzeiten.

Dr. Hubert Messner

Geboren 1953 als eins von neun Kindern einer Lehrerfamilie und aufgewachsen in einem Bergdorf im Villnösstal (Südtirol), hat Hubert Messner in Innsbruck und Modena Medizin und Kinderheilkunde studiert. Sein Werdegang führte ihn über Mailand, Graz, Toronto und London auf die Chefarztposition der Neonatalogie-Abteilung in Bozen. Seit 2018 ist er pensioniert, aber weiterhin in sozialen und medizinischen Projekten tätig. Heute lebt er mit seiner Familie in einem Weindorf südlich von Bozen. Zusammen mit dem Südtiroler Journalisten und Romancier Lenz Koppelstädter hat er zwei Bücher veröffentlicht: Die reich illustrierte Autobiografie „Der schmale Grat“ erschien 2020, vor wenigen Wochen folgte „Eine gute Zeit zu leben“, sein Plädoyer für mehr Optimismus angesichts der aktuellen Herausforderungen (beide Ludwig Verlag, München).

Als der Kinderarzt und langjährige Primar der Neonatologie am Krankenhaus Bozen das erste Mal gefragt wurde, ob er nicht in die Politik gehen wolle, hat er umgehend abgelehnt. Seine Frau habe ihm mit Scheidung gedroht, erzählt Dr. Hubert Messner lachend, und außerdem, setzt er ernster hinzu, seien wiederholte Versuche, ihm politische Aufgaben im Südtiroler Gesundheitswesen zuzuschanzen, ein Grund gewesen, warum er sich vor fünf Jahren „von heute auf morgen“ in den Ruhestand zurückgezogen habe. Nun wird er siebzig, hat mitgeholfen, in seiner Heimat die Corona-Pandemie zu bekämpfen, hat selbst eine Post-Covid-Erkrankung überstanden – und in diesem Herbst kandidiert er nun doch für den Südtiroler Landtag. Im Gespräch erzählt er, wie es war, mit acht Geschwistern in einem Bergdorf aufzuwachsen, warum es ihn, wie seinen berühmten Bruder Reinhold, auf hohe Berge und in Eiswüsten zieht, und was er meint, wenn er sagt, Vertrauen und Zeit sind die beste Medizin.

natürlich gesund und munter: Herr Dr. Messner, Ihr neues Buch trägt den Unter­titel „Die Welt ist besser, als wir denken“. Doch im ersten Satz fragen Sie:

„In welche Welt werden ­unsere Kinder da nur hineingeboren?“ Immer mehr Paare beantworten diese Frage negativ und verzichten deshalb darauf, eigene Kinder in die Welt zu setzen. Verstehen Sie diese Entscheidung?

Dr. Hubert Messner: Ich kann sie nur zum Teil verstehen. Kinder sind unsere Zukunft, wenn immer weniger Kinder geboren werden, kommt es zu einer demografischen Depression. Es gibt dann keine Auseinandersetzung mehr zwischen den Generationen, die meiner Meinung sehr wichtig ist für die Entwicklung unserer Gesellschaft.  

Sie sind selbst Vater, und Sie haben vielen Kindern ins Leben geholfen, als Chefarzt der Station im Klinikum Bozen, auf der Frühchen versorgt werden, also viel zu früh und zu klein geborene Babys. Was muss solch ein Kind mitbringen, um zu überleben?

Diese Kinder haben eine wahnsinnige Lebensenergie, vom ersten Lebenstag an. Selbst den ganz Kleinen, denen unter 1000, unter 750 Gramm, sieht man schon am Tag ihrer Geburt ihren Lebenswillen an. Sie gehen die ersten Tage einen schmalen Grat zwischen Leben und Tod, und sie entwickeln später, wie ich im Laufe meiner Arbeit erfahren habe, daraus eine große Resilienz. Sie selbst haben diesen Grat überwunden – wir, die wir am Beginn des Lebens arbeiten, dürfen sie nur in dieses ­Leben begleiten.  

Können wir „Großen“ von diesen ganz Kleinen vielleicht etwas lernen?

Sehr viel! Wir können von ihrer Freude am Leben lernen, von ihrer Neugier, von ihrer Positivität, von ihrem Lachen, aber auch davon, wie anpassungsfähig diese Kinder sind. Ich finde, wir brauchen all diese Eigenschaften dieser Kleinen, um als Erwachsene auch Krisen zu überstehen.

Ihre Heimat Südtirol ist heute eine beliebte und wohlhabende Urlaubsgegend. Noch vor wenigen Jahrzehnten war das ganz anders. Wie haben Sie das als Kind wahrgenommen?

In den Fünfziger-, Sechzigerjahren war Südtirol ein armes Land, und je weiter man in die Dörfer hinausging, desto ärmer. Aber wir Kinder hatten alles, auch wenn ich mich heute frage, wie mein Vater es geschafft hat, uns mit seinem Verdienst alle zu ernähren und weiterzubringen. Doch für uns war das Villnösstal, auch wenn es am Ende von den Felsen der Geislerspitzen vollkommen abgeschlossen ist, ein Ort der Freiheit. Da konnten wir den ganzen Tag tun und lassen, was wir wollten. Wir waren in den Wäldern, gingen auf die Berge, kamen nur zum Essen nach Hause. Unsere Eltern wussten oft gar nicht, was wir den ganzen Tag gemacht haben. Wir wurden nicht kontrolliert, wie heute die Kinder kon­trolliert und verplant sind. Unsere Eltern hatten großes Urvertrauen, und wir Kinder damit auch, dass wir imstande sind, ins Leben zu gehen. Später, als ich in der Stadt in der Schule war, war es für mich erst schwierig, mich in den starren Strukturen zurechtzufinden.

Ist mit dem wachsenden Wohlstand im Land auch etwas verlorengegangen? 

Den Wohlstand gebracht hat neben dem Tourismus die Ansiedlung von Betrieben bei den Dörfern, was wichtig war, um die Leute zu halten und die Landflucht zu verhindern, aber das hat die Dörfer eben auch verändert. Die Solidarität, die es früher auch in der Armut gegeben hatte, existiert heute so nicht mehr. Man war einfach füreinander da. Wir haben als Kinder im Sommer bei Bauern geholfen für eine Marende, also eine Brotzeit, das war für uns das Größte. Es gibt heute viel Vereinstätigkeit in den Dörfern, aber diese Solidarität und die Freiheit, die wir damals hatten, das ist verloren gegangen, denke ich.

Dass Sie jetzt als Pensionär jeden Sommer freiwillig auf einem Bergbauernhof arbeiten, ist das auch ein Anknüpfen an diese frühen Erfahrungen? 

Ja, aber es ist auch die Wertschätzung, die ich diesen Bergbauern gegenüber habe. Der Respekt vor der wirklich immer noch harten Arbeit auf diesen kargen Bergbauernhöfen, teilweise auf 1600 Meter Höhe und mehr. Das ist kein Urlaub auf dem Bauernhof, aber es gibt ­eine enorme Zufriedenheit.  

Was ist der größte Unterschied zwischen der Arbeit dort und Ihrer langjährigen Tätigkeit im Krankenhaus? 

Ich würde gar nicht von einem großen Unterschied reden. Es gibt mir Zufriedenheit und Sinn in meinem Tun, dass ich jemanden unterstützen, dass ich jemandem helfen kann, sei es unten im Krankenhaus oder droben auf dem Hof. Im Krankenhaus war ich natürlich von viel Technologie umgeben. Das ist auf dem Bergbauernhof nicht so, aber wie man sich an den Umgang mit der Technik gewöhnt hat, gewöhnt man sich auch wieder an die Einfachheit, an die ich mich erinnere.  

Dennoch kann man den Eindruck gewinnen, der heutige Medizinbetrieb, auch und besonders in Kliniken, sei angetan, Ärzte und Pflegepersonal unzufrieden, Patienten hilflos und Angehörige ratlos zu machen. Woran fehlt es?

Ich sage immer, unzufriedene Ärzte gehören nicht ins Krankenhaus. Nur sind viele einfach frustriert von der Bürokratisierung und der Ökonomisierung in der Medizin. Davon, dass ihnen die Zeit fehlt. Zeit für den Patienten heißt auch Gesundheit, Zeit und Gespräche sind wie ein Medikament. Das Gesundheitswesen muss uns Ärzten wieder diese Zeit geben, wir müssen den Patienten wieder in den Mittelpunkt stellen und nicht nur Dienstleister sein, wie es heute in Klinikverwaltungen gesehen wird. Was fehlt, ist die Empathie – die ich nicht von jedem verlange, von der ich aber denke, dass sie zum Arzt-Sein dazugehört.

 

Immer mehr Mediziner sind überzeugt, dass das Vertrauen zwischen Arzt und Patient für den Gesundungsprozess, für die Selbstheilungskräfte des Patienten eine zentrale Voraussetzung ist.  

Ich kann das aus meiner Erfahrung vollkommen bestätigen. Ich habe viele frühgeborene Patienten bis zum 16., 17., 18. Lebensjahr in der Follow-up-Ambulanz betreut. Da habe ich gemerkt, das Wichtigste ist das Vertrauen vom Patienten zum Arzt. Und umgekehrt. Wenn Eltern mit ihrem kranken Kind zu mir gekommen sind und gefragt haben, ob das Kind ein Antibiotikum braucht, habe ich immer versucht, ihnen klarzumachen: Kinder brauchen nicht immer ein Antibiotikum, aber sie dürfen krank sein und wir müssen Zeit für die Kinder haben, wenn sie krank sind. Die haben wir oft nicht, und das ist das Problem unserer Gesellschaft. Ich habe wirklich mein Leben lang wenig Medikamente verschrieben, weil ich Zeit hatte, mit den Patienten zu reden, und weil ich das Vertrauen hatte.

Sie schreiben vom „Arzt-Sein im eigentlichen Sinne“, von der „Essenz des Arztberufs“. Was bedeutet das für Sie? 

Ich meine, dass wir wieder Ärzte sein müssen und nicht nur den Arztberuf ausüben. Auf Italienisch unterscheidet man „essere medico“ und „fare il medico“. Die Essenz des Arzt-Seins ist, Zeit für den Patienten zu haben und sie nicht mit anderen Dingen zubringen zu müssen.

Vor fünf Jahren sind Sie in den Ruhestand gegangen, doch im Frühjahr 2020 sind Sie als Arzt ans Krankenhaus in Bozen zurückgekehrt. Der Grund war Corona, das in Italien ja anfangs besonders schlimm gewütet hat. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?  

Man hat mich gefragt, ob ich zurückkommen könnte, und ich habe sofort ja gesagt, weil mir einfach klar war, dass ich Arzt bin und wir Ärzte brauchten. Wir haben neue Stationen aus dem Boden gestampft, in kürzester Zeit. Ich war auf der Subintensivstation verantwortlich für die nicht invasive Beatmung. Darin haben wir Neonatologen viel mehr Erfahrung als die Erwachsenenmediziner. Ärzte aus allen Fachgebieten haben eine Gruppe gebildet – meistens war ich der Älteste dort – und jeder hat sich eingebracht in seinem spezifischen Gebiet, ob das Internisten waren, Kardiologen, Pneumologen oder Ärzte aus Infektionsabteilungen.

War das, trotz allem, eine gute Zeit?

Es war ein Miteinander-Arbeiten und nicht ein „Hintereinander-Arbeiten“, wie ich es oft bezeichne. Es war ein Arbeiten, wie ich es in den ersten Jahren meines Arzt-Seins erlebt hatte, auf Augenhöhe, mit ganz flacher Hierarchie. Und es war schön, weil die bürokratische Arbeit jemand anders gemacht hat und nicht wir Ärzte. Ich habe gern diese Monate dort gearbeitet. Weil ich wieder die Essenz des Arzt-Seins erlebt habe und auch, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Ärzte und die Krankenpflegerinnen zurückkam und damit eine ganz andere Kultur.

Sie haben Impfungen öffentlich befürwortet, unter bestimmten Bedingungen auch für Kinder. Dafür sind Sie nicht selten angefeindet worden. Haben Sie dieses Engagement je bereut?

Nein, nie. Meist per Videokonferenz in den Gemeinden habe ich versucht, ganz transparent zu informieren, die neue Wirkweise des Impfstoffs zu erklären, etwas die Angst zu nehmen. Ich habe auch auf mögliche Nebenwirkungen hingewiesen und nicht einfach so ins Blaue irgendwelche Impfungen empfohlen. Als der Impfstoff auch für Kinder zugelassen wurde, habe ich immer betont, dass sich aufgrund der Datenlage eine Impfung nur bei Kindern mit Risikofaktoren empfiehlt, also chronisch Kranken, mit Adipositas, Diabetes, Nierenproblemen oder Herzkrankheiten.

Wie sind Ihre Auftritte angekommen?

Meinem Eindruck nach sehr gut, ich habe viele positive Rückmeldungen bekommen. Ich bin auch kritisiert worden, öffentlich und in Zeitungen. Mir wurde von Freunden berichtet, ich hätte auch sehr böse Kommentare in sozialen Netzwerken bekommen. Aber ich lese die nicht.

Die Pandemie hat für viele Menschen viel Unglück mit sich gebracht. Gibt es in Ihren Augen etwas, das wir aus dieser Zeit mitnehmen können? 

Ich dachte, wir werden aus der Pandemie viel lernen. Aber wir haben aus der Pandemie überhaupt nichts gelernt. Wir sind herausgekommen mit irgendwelchen guten Vorsätzen, und wir leben jetzt wieder mit diesem Höher, Schneller, Größer, als hätte es sie gar nicht gegeben. Wir haben das Geschehene als Gesellschaft noch gar nicht reflektiert. Dabei hat diese Zeit etwas mit uns gemacht, und nicht im Positiven. Sie hat uns aggressiver gemacht und die gesellschaftliche Spaltung vergrößert. Das Coronavirus richtet keine großen Schäden mehr an, trotzdem müssten wir einen Schritt zurücktreten und uns überlegen, wie wir weiterleben wollen. Denn eine neue Pandemie oder vergleichbare Krise werden wir in Zukunft noch öfter erleben.

Sie selbst sind irgendwann an Covid-19 erkrankt und hatten lang mit den Folgen zu kämpfen. Was hat Ihnen geholfen, sie zu überwinden? 

Dieses Long- oder Post-Covid zu erkennen, war zunächst sehr schwer. Wir standen ja vor einer Mauer des Unwissens. Deshalb wusste mir niemand recht zu helfen. Aber ich habe mich nicht zurückgezogen in ein Schneckenhaus, ich habe versucht, einen strukturierten Tagesablauf und mein soziales Leben aufrecht zu erhalten, bin täglich ins Dorf gegangen, auch wenn ich extre­me Müdigkeit und Schmerzen hatte, kaum 300 Meter laufen konnte und die Stiegen zu Hause nicht mehr schaffte. Ich habe gelesen, ich habe zum Teil während dieser Geschichte das Buch geschrieben. Und ich habe immer positiv nach vorne gesehen, wie es mein Naturell ist.

Die Auseinandersetzung mit den Naturkräften, vor allem das Bergsteigen, spielt in Ihrer Familie eine große Rolle, im Guten wie im Schlimmen. Ihr älterer Bruder Reinhold Messner ist damit welt­berühmt geworden, Sie selbst haben mit ihm zusammen Grönland zu Fuß durchquert und einen Sturz in Eiswasser überlebt. Zwei Ihrer Brüder sind am Berg umgekommen. Wenn so etwas die nächsten Menschen trifft, stellt sich dann nicht die Sinnfrage?

Ja, die stellt sich sicherlich in dem Moment, da so etwas passiert. Es waren ja nicht nur meine Brüder Günther und später Siegfried, sondern auch enge Freunde, die gestorben sind. Da fragt man sich schon, was soll das? Und man ist sich bewusst, dass das Restrisiko gegeben ist, aber trotzdem will man wieder hinausgehen. Diese Ausgesetztheit, in die man sich begibt, diese große Stille in den Bergen oder den Eiswüsten, die fühlt man und möchte sie wieder fühlen. Das heißt, man fühlt dort eigentlich, was Leben ist. Und das ist stärker als der Gedanke, dass man dabei auch umkommen kann.  

Ist das eine Art Sucht?

Ja, das ist auch eine Sucht. Der verfällt man schneller, als man denkt, das habe ich an mir selbst erlebt. Wenn man etwas abgeschlossen hat, denkt man schon an das nächste Unternehmen. Aber es gibt dir auch so viel, denn es zeigt, wie wertvoll das Leben ist. Und es gibt eine Zufriedenheit, eine Ruhe und auch Glück am Ende der Geschichte, wenn man nach Hause kommt. Das treibt dich immer wieder an.  

Sie sind in Südtirol geboren und leben dort, aber Sie haben viel von der Welt gesehen. „Die Welt ist besser, als wir denken“, schreiben Sie. Allerdings liegt in der Welt einiges im Argen, Stichworte Klima­katastrophe, Artenschwund, globale Un­gerechtigkeit, Kriege. Wie soll man angesichts all dessen denn die Zukunftshoffnung bewahren?

Es hängt doch von uns ab, diese Welt besser zu machen und nicht einfach zu erstarren vor diesen Krisen. Wir können die Ärmel hochkrempeln und versuchen zu gestalten. Nicht nur zurückzublicken und uns in diese Negativspirale von Pandemie, Krieg und Klimakrise zu begeben. Wir haben die Chance, etwas zu tun! Auch und besonders den Jungen möchte ich sagen, ihr habt die Welt in der Hand, sie soll euch nicht zwischen den Händen zerrinnen. Mein Grundgedanke ist Selbstwirksamkeit: dass es an uns liegt, ob diese Welt besser sein kann, als wir denken.

Manche der zumeist jungen Klima-Aktivisten greifen inzwischen zu verzweifelten Mitteln und verzweifelten Argumentationen. Haben Sie dafür Verständnis?   

Ich bewundere die ganze Klimabewegung, auch wenn meine Kinder etwa Fridays for Future zu missionarisch finden, und finde es sehr gut, dass sie unsere Wohlstandsgesellschaft aufrütteln. Sie machen uns darauf aufmerksam, dass wir in Zukunft nicht mehr leben können auf diesem Planeten, wenn wir nichts unternehmen. Und ich verstehe die Angst der Jugend um ihre Zukunft, dass ihnen nicht die Zeit bleibt, die wir hatten. Aber wenn Aktionen zu weit gehen, bringt uns das wieder in die Negativspirale aus Aggressionen, die sich jetzt gegen die sogenannten Klimakleber richten, und einer wachsenden Spaltung, aus der wir nach der Pandemie gerade herauszukommen versuchen.

Ende Oktober treten Sie bei der Landtagswahl in Südtirol als Kandidat an und sind im Gespräch als Landesrat für Gesundheit. Was wollen Sie als Politiker erreichen?  

Ich wollte nie Politiker sein, und ich bin kein Politiker. Ich war lange Jahre Vertreter der Chefärzte in Südtirol, habe mit mehreren Landesräten für Gesundheit zusammengearbeitet und versucht, mich einzubringen – mit dem Ziel, dieses Gesundheitssystem auf finanzierbare Beine zu stellen, damit man das ganze Leistungsspek­trum auch noch in Zukunft bekommt. Ich habe bis heute sehr gute Beziehungen zum Krankenhaus und viel Kontakt zu den Gemeindeärzten. So habe ich mich, nach langem Zögern, zur Kandidatur entschlossen, weil ich denke, dass ich mit der Zustimmung, die ich im Gesundheitswesen immer noch habe, wirklich etwas bewegen und auch etwas Ruhe in das System bringen kann. Aber ich muss erstmal gewählt werden.

Gibt es etwas am Dasein des gewählten Amts- trägers, wovor Sie sich fürchten? 

Ich glaube, man kann das nicht annehmen, wenn man Angst hat. Klar wird es Anfeindungen geben, aber nochmals: soziale Medien lese ich nicht, und ich bin dort nicht vertreten. Ja, es ist eine riesige Herausforderung, das ist mir bewusst, eine Mammutaufgabe. Meine Patienten und die Südtiroler Bevölkerung kennen mich als jemand, der die Dinge klar anspricht und sich mit den Leuten auseinandersetzen kann auf einer sachlichen Ebene. Es gibt sehr, sehr viele Baustellen, aber ich versuche auch hier, nach vorne zu schauen.  

Mir klingt das, was sie sagen, auch eigentlich nicht nach Angst, sondern eher nach Respekt.

Ja, richtig, Respekt hatte ich immer schon. Ich habe ­Respekt vor den Bergbauern, und ich hatte Respekt vor der Pandemie, aber ich hatte nicht Angst vor der Pandemie. Und ich hatte Respekt vor meinen kleinen Pa­tienten, doch ich hatte keine Angst. / Das Gespräch führte Julia Schröder

Diesen Beitrag finden Sie in unserem Magazin natürlich gesund und munter 05/2023

 

Foto: © Kay Blaschke