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Können Gefühle die Gene verändern?

Daseinskampf, evolutionäre Konkurrenz – solche Schlagworte prägen verbreitete Vorstellungen über unser Erbgut. Zunehmend wird jedoch der Einfluss sozialer und psychischer Faktoren auf die Gene erforscht. Die neuen Erkenntnisse könnten uns helfen, gesund zu bleiben.

Prof. Dr. med. Joachim Bauer

Der Arzt, Neurowissenschaftler und Psychotherapeut forschte und lehrte viele Jahre als Professor für Psychoneuroimmunologie an der Universität Freiburg. Er ist sowohl in Innerer Medizin als auch in Psychiatrie habilitiert. Gegenwärtig lehrt er in Berlin als Gastprofessor an der International Psychoanalytic University und ist Lehrtherapeut und Supervisor an einem Psychotherapie-Ausbildungsinstitut. Für die Entdeckung, dass der proentzündliche Immunbotenstoff Interleukin-6 an der Entstehung von Alzheimer beteiligt ist, erhielt er den Organon-Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. Zuletzt erschien sein Bestseller „Das empathische Gen: Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen“ (Herder).

Oft müssen die Gene als Ausrede herhalten: Konkurrenz, Kämpfe, Kriege – so sei die menschliche Natur nun einmal ins Erbgut eingeschrieben. Dabei hat die Genforschung längst herausgefunden, dass die Aktivität der Gene ganz wesentlich vom Informationsaustausch mit der Umwelt bestimmt wird. Epigenetik heißt dieses Forschungsgebiet, und dessen Ergebnisse haben es in sich: Nimmt man die Gesundheit als Maßstab für die menschliche Natur wie als Kompass der Lebensführung, dann ist heftiges Gegeneinander und der Kampf aller gegen alle der falsche Weg. Denn dabei werden Stressgene und proentzündliche Gene hochgefahren, während ein Miteinander und Empathie deren ungesunde Aktivität dämpfen. Der Psychoneuroimmunologe Professor Dr. Joachim Bauer hat selbst an Genen geforscht und in zahlreichen Veröffentlichungen die Erkenntnisse der Epigenetik zur kooperativen Natur des Menschen einer breiteren Öffentlichkeit nahe gebracht. Wir haben ihn gefragt, was aus diesen Forschungsergebnissen folgt.

natürlich gesund und munter: Herr Professor Bauer, der Titel Ihres Buchs von 2021 lautet „Das empathische Gen“. Ist es nicht gewagt, Gene als sozial oder gar empathisch zu bezeichnen?

Prof. Dr. Joachim Bauer: Der Buchtitel ist eine Metapher. Gene sind faktisch weder egoistisch, wie der Bestsellerautor Richard Dawkins einst behauptet hat, noch sind sie sozial oder empathisch. Im Buch wird man nirgendwo eine derartige Behauptung finden.

Haben Sie Gegenwind von Fachkollegen erfahren für Ihre These, dass menschliches Miteinander auch genetisch gesehen gut für die Gesundheit ist?

Das Buch beschreibt die Ergebnisse eines neuen Forschungsgebietes mit der Bezeichnung „Social Genomics“. Neuere Studien zeigen, dass eine freundliche, prosoziale oder empathische Einstellung gegenüber Mitmenschen sich positiv auf die Aktivität bestimmter  Gene auswirkt und dem Schutz der eigenen Gesundheit dient. Alles, was ich darstelle, beruht auf wissenschaftlichen Publikationen in angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschriften, die im Anhang meines Buchs alle nachgesehen werden können. Daher bestand kein Grund für Gegenwind oder gar Protest – was natürlich nicht ausschließt, dass Einzelne aus Missgunst Stimmung gegen einen Kollegen machen, der seiner Zeit ein wenig voraus ist. Das ging mir auch mit früheren Büchern schon so.

Welche Gene würden Sie als sozial oder sogar als empathisch bezeichnen? Oder sind unsere Gene in ihrer Gesamtheit auf ein prosoziales Wesen ausgerichtet?

Anders als seit mehr als einem Jahrhundert angenommen, sind Gene keine autonomen Akteure, die uns quasi im Blindflug in eine bestimmte Richtung steuern. Die Sichtweise, dass Gene vorherbestimmen, was aus einem Menschen wird, unabhängig von der Art, wie er lebt, ist falsch. Jedes Gen steht unter dem Kommando eines Genschalters, der den Kontakt zur Außenwelt herstellt. Abhängig davon, welche Signal-Botenstoffe – sogenannte Transkriptionsfaktoren – am Genschalter anlanden, wird das nachfolgende Gen aktiviert oder inaktiviert. Gene sind in diesem Sinn Kommunikatoren, sie kommunizieren ständig mit ihrer Umwelt. Das Erbgut ist also eine Art Klaviatur, die vom Leben bespielt wird. In meinem Buch geht es konkret um rund 50 Gene, die ich als „Risikogene“ bezeichnet habe. Ihre Aktivität entscheidet darüber, ob sich im menschlichen Körper eine schleichende chronische Entzündung entwickelt. Wenn es zu einer solchen sozusagen unter dem Radar fliegenden chronischen Entzündung kommt, von der die Betroffenen meistens gar nichts merken, dann erhöht sich das Risiko für Herzerkrankungen, für einen Schlaganfall und für Krebserkrankungen.

Wie groß ist die Bedeutung des menschlichen Zusammenlebens in diesem Zusammenhang?

Alles, was wir im sozialen Umfeld erleben, wird vom Gehirn in biologische Signale übersetzt. Unser Gehirn verwandelt sozusagen Psychologie in Biologie. Daher können Erfahrungen, die wir mit Mitmenschen machen, durchschlagenden Effekt auf die körperliche Gesundheit haben. Folgen hat aber nicht nur, was uns von Anderen angetan wird, sondern auch, wie wir selbst uns anderen gegenüber verhalten. Und genau hier gibt es neue Erkenntnisse, die Anlass für mein neues Buch waren. Menschen, die sich um ein prosoziales, sinn­geleitetes Leben bemühen, zeigen ein positives, die Gesundheit schützendes Aktivitätsmuster der Risikogene und vermindern dadurch ihr Erkrankungsrisiko.

Apparate und Medikamente sind wichtig, Ebenso wichtig für eine gute Medizin ist das Vertrauen zwischen Arzt und Patient.

Gibt es in der Medizin eine Neigung, diese psychosoziale Dimension kleinzureden?

Ich selbst zähle mich zur Schulmedizin, vertrete also die Position, dass Therapien auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen sollten. Das psychische Befinden eines Menschen hat nachweislich Einfluss nicht nur auf seelische, sondern auch auf körperliche Erkrankungen. Daher sollte die Psychosomatische Medizin Teil einer evidenzbasierten Medizin sein und bleiben. Wir brauchen eine gute apparative Medizin, wir brauchen auch gute Pharmaka. Wenn wir darüber aber die psychischen Einflussfaktoren vergessen, machen wir eine deutlich suboptimale Medizin.

Wie wichtig ist konkret das zwischenmenschliche Verhältnis von Arzt und Patient, für den Therapieerfolg beispielsweise?

Die Beziehung zwischen Ärztin oder Arzt und Patientin oder Patient ist von eminenter Bedeutung. Es beginnt damit, dass der Arzt vom Patienten nicht alles erfahren wird, was für die Diagnose und die richtige Wahl der Behandlung von Bedeutung wäre, wenn kein Vertrauensverhältnis besteht. Mehr noch: Wie der Arzt angesichts einer Diagnose reagiert, welche Resonanz er seinem erkrankten Patienten gibt, kann entscheidenden Einfluss auf den Willen des Patienten haben, seinen Lebensstil gesundheitsdienlich zu verändern, und kann damit den Erkrankungsverlauf beeinflussen. Wer dem Patienten eine Tumordiagnose wie eine hoffnungslose Nachricht mitteilt, wird ihn entmutigen, statt ihn zu Veränderungen zu motivieren. Wer aber dem Patienten zwar den Ernst der Lage klarmacht, zugleich aber verdeutlicht, dass der Erkrankung etwas entgegengesetzt werden kann, einerseits durch medizinische Therapien, aber auch dadurch, dass der Patient seinen Lebensstil verändert, der wird den Lebenswillen und die Kooperationsbereitschaft des Patienten stärken.

Wieso ist Sinn im Leben so wichtig, gerade für die Gesundheit des Gehirns?

Für sich einen Sinn im eigenen Leben zu sehen und Lebens­willen in sich zu spüren, also Motivation zu erleben, hängt eng zusammen. Wir sehen das an Menschen, die von einer Depression betroffen sind. Depressive Menschen leiden sowohl am Sinnverlust als auch an fehlendem Lebenswillen, am Fehlen jeglicher Motivation. Der stärkste Stimulus, um die Motivations­systeme des menschlichen Gehirns zu aktivieren, ist die Zuwendung und Sympathie anderer Menschen. Menschen sind von Natur aus auf gute soziale Beziehungen hin ausgerichtet. Daran zu arbeiten, darin liegt der wahre Sinn des Lebens. Ohne gute zwischenmenschliche Beziehungen kann der Mensch auf Dauer nicht gesund bleiben.

Liegt der Sinn oft in den sozialen Beziehungen? Oder letztlich gar immer?

Ja. Das sah auch der große Psychotherapeut und Begründer der Logotherapie Viktor Frankl so.

Sehr interessant ist die von Ihnen vorgestellte Studie, wonach konkret einem Mitmenschen Gutes zu tun, die Aktivität von proentzündlichen Risiko- genen senkt.

Ein Effekt, der sich beim Engagement für eine bessere Welt nicht einstellte. Wie erklären Sie sich das, und welche Bedeutung hat es?

In der Tat kam es bei Testpersonen, die gebeten wurden, über vier Wochen hinweg jeden Tag „für die gesamte Menschheit“ etwas Gutes zu tun, zum Beispiel etwas vom Gehweg aufzuheben und in einen Abfall­eimer zu werfen, zu keiner Beruhigung der Risikogene. Sehr wohl aber bei denen, die jeden Tag einem bestimmten anderen Menschen einen kleinen Gefallen erwiesen haben. Dieser Befund ist tatsächlich interessant und könnte anzeigen, dass es bei den gesundheitsdienlichen Effekten von Prosozialität darauf ankommt, die Dankbarkeit anderer Menschen konkret zu erleben.

Ein andauernder Kampf ums Überleben befördert die Aktivität von Risiko-Genen, die Menschen krank machen.

Was ist Empathie kurzgesagt überhaupt? Mitleid? Ein wohlwollendes Schulterklopfen?

Nach dem heutigen Stand der Forschung zählen zur Empathie drei Komponenten. Die erste Komponente ist eine emotionale: die intuitive Einfühlung in einen anderen Menschen. Die zweite Komponente ist die Fähigkeit, sich bewusst und auf rationaler Grundlage Gedanken über die Motive oder Beweggründe eines anderen Menschen zu machen. Die dritte Komponente der Empathie ist die praktische Hilfeleistung. Alle drei Komponenten haben jeweils eine eigene neuronale Grundlage. Die intuitive Einfühlung basiert auf den Spiegelneuronen, über die ich vor Jahren ein Buch geschrieben habe – „Warum ich fühle was du fühlst“. Die rationale Komponente hat ihre Grundlage im Stirnhirn. Dort befindet sich auch die Grundlage für die dritte Komponente, also für die konkrete Hilfeleistung.

Kampf oder Verständigung: Kann man nur einen Pol wählen? Überlebenskampf, zumindest Konkurrenzkampf oder eben Kooperation?

Gehören diese so gegensätzlichen Verhaltensweisen nicht alle zum Menschsein dazu? Kommt es nicht vielmehr auf die richtige Mischung an?  

Der Mensch kann frei wählen, an welchen Grundsätzen er sein Verhalten und sein Leben orientieren möchte. Aus neurowissenschaftlich-medizinischer Sicht begünstigt ein andauernder Kampf ums Überleben verschiedene Erkrankungen. Gutes soziales Einvernehmen hingegen schützt die Gesundheit. Soziale Verträglichkeit bedeutet nicht Friede-Freude-Eierkuchen, sondern schließt das Anerkennen von Interessenunterschieden und Konflikte mit ein. Sozialität bedeutet das Bemühen um friedliche Beilegung von Konflikten, um Interessenausgleich und um Kompromiss.

Haben wir in unserem Erbgut wirklich ungesunde Gene, oder machen diese nur krank, wenn sie im Zusammenspiel mit anderen Genen die Überhand gewinnen?

Ungesund können Gene nur dann sein, wenn sie in ihrer inneren Struktur gegenüber der Normalstruktur verändert sind, wenn also der sogenannte „genetische Code“ mutiert ist. Derartige krankhafte Veränderungen können vererbt sein, sie können aber auch neu auftreten, zum Beispiel als Folge von radioaktiver Strahlung oder von Umweltgiften.

Was ist wichtiger? Die innere Struktur, also das, was in den Genen geschrieben steht, oder die Genregulation, also wie oft das jeweils Geschriebene abgelesen wird?

Wie weit geht die Diktatur der Gene wirklich?

Beides ist wichtig. Krankheiten, die auf Veränderungen der Struktur, also auf Mutationen des „Textes“ eines
Gens beruhen, sind glücklicherweise sehr selten. Die große Mehrheit der Erkrankungen, deretwegen Patienten in den westlichen Ländern einen Arzt aufsuchen, beruht auf Störungen der Genregulation, also darauf, dass ungesunde Lebensbedingungen oder Lebensstile zu einer ungünstigen Einstellung der Aktivität von Genen geführt haben.

Wie einflussreich und wie schnell wirken veränderte beziehungsweise verbesserte Lebensumstände auf die Art und Weise, wie Gene abgelesen werden?

Äußere Umstände können die Aktivität von Genen innerhalb von Minuten verändern, zum Beispiel nach der Aufnahme von Nahrung oder beim Auftreten eines psychischen Stressors oder bei einem Unfall. Hier spricht man von Genregulation. Schwerwiegende, besonders einschneidende Erfahrungen können die Ablesbarkeit eines Gens aber auch auf längere Sicht verändern, in diesem Falle spricht man von Epigenetik.

Einschneidende Erfahrungen werden mit dem epigenetischen Code an die nächste Generation weitergegeben.

Und diese epigenetischen Codes werden vererbt?

Ja. Psychische Traumatisierungen können epigenetische Veränderungen zur Folge haben, die an die nächste Generation von Nachkommen weitergegeben werden und bei Kindern eine erhöhte Ängstlichkeit verursachen können. Ein anderes Beispiel: Wenn eine Bevölkerungsgruppe eine Hungersnot erleidet, kann das in der folgenden Generation eine Zunahme von Übergewicht und Diabetes zur Folge haben.

Kann man diesen erblichen epigenetischen Code auch wieder verändern?

Man kann Einfluss auf epigenetische Veränderungen nehmen, allerdings geht das im Moment noch nicht gezielt, sondern würde sich wie eine Art Rasenmäher auswirken. Medikamente mit Einfluss auf die Epigenetik würden – jedenfalls derzeit – alle Gene betreffen und mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Gibt es Überzeugungen über Gene, auch unter Wissenschaftlern, die fortbestehen, obwohl sie längst widerlegt sind?

Überholte, falsche Überzeugungen über Gene haben sich bis heute gehalten. Dazu beigetragen hat vor allem der Rassismus, aber auch der ein oder andere Buchautor, zum Beispiel Richard Dawkins mit seinem Buch „Das egoistische Gen“. Dawkins selbst hat übrigens nie an Genen geforscht, was entschuldigt, dass sich in seinem Weltbestseller jede Menge Unsinn finden lässt. / Das Gespräch führte Golo Willand

Foto: Arlett und Hedrich Mattescheck