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Long Covid – wie sinnvoll sind Vitalstoffe?

Die Zahl der Corona-Infizierten, die Spätfolgen entwickeln, steigt. Konventionelle Medizin kann vielen von ihnen nicht helfen. Dr. Volker Schmiedel erklärt, wie orthomolekulare Therapie wirkt.

Dr. med. Volker Schmiedel

Seit mehr als 35 Jahren ist Dr. med. Volker Schmiedel als Arzt tätig, davon 20 Jahre als Chefarzt in einer Klinik für ganzheitliche Medizin. Seit 2016 praktiziert und lehrt er im schweizerischen Baar im Ambulatorium Paramed, wo er zusammen mit seinem Kollegium auch eine spezielle Long-Covid-Sprechstunde anbietet. Er ist Fortbildungsleiter für Naturheil­verfahren und Autor zahlreicher naturheilkundlicher Bücher, darunter der Ratgeber „Nährstofftherapie“ (Thieme), der sich nicht nur für Therapeuten, sondern auch für Laien als wertvoll erwiesen hat.

Interessierte Patienten haben die Möglichkeit, sich in seiner Online-Sprechstunde beraten zu lassen: www.dr-schmiedel.de

Nach einer Coronainfektion fühlen sich viele Patienten, die sich mit nicht enden wollenden vielfältigen Symptomen herumschlagen, von der klassischen Medizin im Stich gelassen. Oftmals haben sie eine wahre Odyssee bei Haus- und Fachärzten oder auch bei Psychotherapeuten hinter sich – doch niemand konnte ihnen helfen. Dabei gibt es durchaus wirkungsvolle Behandlungsansätze. Dr. Volker Schmiedel, der seit zwei Jahren im Ambulatorium Paramed in der Schweiz eine Long-Covid-Sprechstunde anbietet und so ein umfangreiches Erfahrungswissen gewonnen hat, erläutert in diesem Gespräch, wie er seine Patienten behandelt, wie eine gründliche und umfassende Diagnostik bei ihm aussieht und welche Behandlungsoptionen seiner Erfahrung nach erfolgreich sind.

natürlich gesund und munter: Herr Dr. Schmiedel, gibt es inzwischen eine einheitliche Definition für Long Covid und Post Covid?

Dr. Volker Schmiedel: Die Grenzen zwischen Long und Post Covid sind fließend, man kann dies nicht genau voneinander abgrenzen. Von Long Covid spricht man, wenn nach einer Sars-CoV-2-Infektion längerfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen bestehen, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen hinaus vorliegen. Die Beschwerden beginnen meist schon während der akuten Erkrankung und bleiben längere Zeit bestehen, oder sie treten im Verlauf von Wochen und Monaten nach der Infektion neu oder wiederkehrend auf. Vom Post-Covid-Syndrom dagegen spricht man, wenn die Beschwerden mindestens drei Monate und länger nach der akuten Infektion vorhanden sind oder aber nach diesem Zeitraum neu auftreten. Letztlich ist beides durch eine Corona-Erkrankung ausgelöst – und diese gilt es zu erkennen und zu behandeln.

Wie viele, die an Corona erkrankt waren, haben längerfristige gesundheitliche Beschwerden?

Das sind immerhin 15 Prozent aller Covid-Patienten, und sogar mehr als 50 Prozent der hospitalisierten Patienten. Was genau die Diagnostik hier so schwierig macht, ist die Tatsache, dass die Symptome  sehr unterschiedlich sind und sich bisher kein einheitliches Krankheitsbild abgrenzen lässt. Jeder Patient muss ganz individuell gesehen und therapiert werden. Und weil die konventionelle Medizin meiner Meinung nach einige Seiten der Diagnostik schlichtweg übersehen hat, verfügt sie deshalb auch kaum über erfolgreiche therapeutische Maßnahmen.

Wo fangen Sie bei der Spurensuche an, wie können Sie bei den Patienten feststellen, dass es sich tatsächlich um Schäden und Störungen handelt, die auf Covid zurückzuführen sind?

Das Allerwichtigste ganz am Anfang ist eine gute Anamnese, bei der ich dem Patienten detaillierte Fragen stelle: Welche Beschwerden genau liegen vor und seit wann liegen diese Beschwerden vor? Wenn zum Beispiel jemand erzählt, dass er topfit und gesund war, sich aber seit der Erkrankung nicht wieder erholt hat, oder aber eine vorübergehende Besserung hatte, es ihm nach einiger Zeit aber wieder schlechter ging und dann erst Beschwerden auftraten, dann kann ich davon ausgehen, dass dies Nachwehen einer Covid-Erkrankung sind.  

Welches sind die häufigsten Symptome, mit denen die Patienten bei Ihnen vorsprechen?

Das Beschwerdebild ist sehr komplex und individuell, Personen mit Post-Covid berichten über unterschiedlichste körperliche und psychische Symptome, die einzeln oder in Kombination auftreten. Zu den häufigsten Symptomen gehören, laut RKI und unseren eigenen Befragungen, das sogenannte Fatigue Syndrom, anhaltende Geschmacks- und Riechstörungen, Atembeschwerden oder ein dauerndes Gefühl von Atemnot, chronischer Hustenreiz, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, schnelle Ermüdbarkeit bei oder nach körperlicher Anstrengung, permanente oder wiederkehrende Schmerzen (vor allem in der Brustgegend), Herz­beschwerden und ein beschleunigter Puls.

Ist es richtig, dass gerade das Fatigue Syndrom als Folge von Covid sehr verbreitet ist?

Ja, das ist richtig. In unserer Praxis haben wir das auch anhand von detaillierten Fragebögen festgestellt. Diese sehr ausgeprägte Erschöpfung und Müdigkeit tritt bei über der Hälfte aller Fälle auf. Bei manchen Patienten geht das so weit, dass sie nicht mehr in der Lage sind zu arbeiten. Da man den Menschen diese Symptome oft nicht ansieht, ist es für sie auch besonders schwierig, in ihrem Umfeld Verständnis zu finden.

Wie sieht eine Untersuchung bei Ihnen genau aus, wie gehen Sie diagnostisch vor?

Zuerst mache ich eine Blutuntersuchung, in der die meiner Meinung nach wichtigsten Nährstoffe überprüft werden. Dies läuft in unserer Praxis tatsächlich anders ab als in anderen Long-Covid-Praxen, wo zuerst viele technische Untersuchungen wie Lungenfunktion, Herz-Ultraschall, CT gemacht werden. Das machen wir alles erstmal nicht. Wir wollen vor allen Dingen die Nährstoffsituation unserer Patienten wissen. Diese ist für die Entzündungsabwehr, das Immunsystem und die Energiebildung sehr wichtig, und das wollen wir in der Labordiagnostik herausfinden. Meine bisherigen Erfahrungen haben mich gelehrt, dass man hier bei jedem einzelnen Menschen die Zusammenhänge betrachten muss und anhand der Laborergebnisse ganz individuell mit Mikronährstoffen therapieren muss, um einen Heilungsprozess anstoßen zu können. Viele klassische Mediziner kennen sich mit dieser speziellen Diagnostik aber leider viel zu wenig aus.

Welche Stoffe sind bei Long Covid am wichtigsten?

Wir bestimmen zuallererst die wichtigsten Vitalstoffe für das Immunsystem, und zwar Vitamin D, Zink, Selen und Omega-3. Sie sind Immunmodulatoren, das heißt, sie puffern das Immunsystem ab in beide Richtungen, also sowohl gegen eine Immunschwäche als auch gegen eine Überreaktion, den sogenannten Zytokinsturm. Viele Patienten sind ja nicht an den Viren selbst gestorben, sondern an ihrem eigenen, überschießenden Immunsystem. Wenn diese Entzündungen bleiben und nicht wieder abklingen, können daraus chronische Entzündungen bis hin zu Autoimmunerkrankungen entstehen. Deshalb müssen genau diese vier Stoffe optimal eingestellt werden.

Was ist außerdem wichtig?

Für den Energiehaushalt ist auch das Eisen essentiell, hierzu misst man aber nicht das Serum-Eisen, sondern den viel genaueren Ferritin-Wert. Der gängige Norm-wert dafür ist meiner Meinung nach jedoch komplett falsch, denn ein Wert unter 50 ist für mich schon ein klarer Mangel. Ein Ferritin-Wert zwischen 50 und 200 sollte angestrebt werden. Beim Schilddrüsenwert TSH sollte nach meiner Erfahrung der optimale Wert zwischen 1 und 2 liegen. Auch das Eiweiß Carnitin und das Q10 sollten im oberen Normbereich liegen. Was wir außerdem messen, ist die oxidative Belastung. Falls tatsächlich eine Störung vorliegt, verordne ich dann beispielsweise eine höhere Gabe Vitamin C oder E.

Können Sie uns einen typischen Fall aus Ihrer Long-Covid-Sprechstunde beschreiben?

Ja, mir fällt ganz spontan ein 64-jähriger Mann ein, der im April 2021 an Covid erkrankt war. Er lag auf der Intensivstation mit Sauerstoff und bekam dort die übliche Antibiotika-Therapie. Als er Monate später zu mir in die Praxis kam, litt er unter Kurzatmigkeit, Treppensteigen war für ihn extrem erschöpfend geworden, und das Lungenvolumen war nach unserer Untersuchung um ein Drittel eingeschränkt. Entsprechend seinen Blutwerten gab ich ihm eine bestimmte Menge an Zink, Carnitin, Q 10, Vitamin D und Fischöl. Nach vier Monaten hatten sich seine Werte normalisiert, und er hatte einen optimalen Wert an antioxidativer Kapazität. Er konnte nun wieder joggen, fühlte sich täglich besser und war nach einiger Zeit wieder so gesund wie vorher.

Diese Mängel müssten doch auch in der Schulmedizin bekannt sein ...

Nicht unbedingt. Leider sind die gängigen Normwerte, die konventionelle Labore vorgeben und mit denen die Hausärzte arbeiten, nicht ausreichend.

Es ist ja auch nicht ganz einfach, die Vitalstoffe ­bestimmen zu lassen.

Oft muss man den Hausarzt darauf ansprechen, dass diese Laborwerte überhaupt alle bestimmt werden, und einige davon muss man auch selbst bezahlen. Was man jedoch niemals über den Hausarzt und das damit verbundene Labor untersuchen sollte, ist das Omega 3. Das wird in den gängigen Laboren nämlich im Serum untersucht, was sehr ungünstig ist, denn Omega 3 muss im Vollblut bestimmt werden. Hier muss man sich leider selbst auf die Suche machen, da dies nur wenige Labore anbieten. Ich arbeite zum Beispiel mit Norsan und Omegametrix. Allerdings wird die Diagnostik nur zum Teil von der privaten Krankenkasse übernommen. Schon die Überprüfung des Vitamin-D-Spiegels müssen die meisten Patienten selbst bezahlen. Die therapeutischen Maßnahmen, wie ich sie empfehle, also die optimale und individuelle Versorgung mit Mikronährstoffen, müssen leider ebenfalls übernommen werden.

Haben Sie bei Ihren Patienten mit unterschiedlichen Symptomen Übereinstimmungen entdeckt?

Anhand der Laborergebnisse konnten wir tatsächlich bei ausnahmslos allen Long-Covid-Patienten einen gravierenden Mangel an Vitamin D und Omega 3 feststellen. Diese Werte waren nicht nur schlecht, sondern katastrophal. Hier gibt es also tatsächlich ein Muster.

Ist es empfehlenswert, die Vitamine und Mineralstoffe einzeln einzunehmen oder tut es auch ein Kombi-Präparat?

Ich habe vor kurzem ein YouTube-Video veröffentlicht, Titel: „Nieder mit den Multis!“ Kombipräparate sollte jeder Patient sofort vergessen, diese nutzen nur dem Hersteller! Denn die verschiedenen Mikronährstoffe werden ja unterschiedlich aufgenommen, da einzelne fettlöslich sind, andere wiederum nicht. Deshalb ergeben diese Multi-Präparate überhaupt keinen Sinn!

Wie und wann nimmt man dann die empfohlenen Mikronährstoffe am besten ein, damit diese richtig aufgenommen werden?

Zink und Selen nimmt man am besten eine halbe Stunde nüchtern vor dem Frühstück, Eisen sollte mit mehrstündigem Abstand zu einer Mahlzeit zusammen mit Vitamin C eingenommen werden, damit wird das Eisen besser aufgenommen, Vitamin D und Omega 3 kann man dann zusammen zum Mittagessen zu sich nehmen.

Bei manchen Patienten stellt sich trotz korrekter Einnahme der gewünschte Therapieerfolg nicht ein. Woran kann das liegen?

Wenn beispielsweise eine Fettverdauungsstörung vorliegt, können manche Nährstoffe nicht richtig aufgenommen werden. Dies kann geschehen, wenn die Bauchspeicheldrüse zu schwach ist oder wenn der Patient an einer Gallenfunktionsstörung leidet, oder aber, wenn die Nahrungsstoffe den Darm zu schnell passieren, zum Beispiel bei einer Laktoseintoleranz oder einer anderen Nahrungsmittelunverträglichkeit. Dann werden die fettlöslichen Substanzen wie Vitamin D und Omega 3 natürlich nicht mehr so gut aufgenommen. Wenn jemand jedoch keinerlei Verdauungsprobleme hat, also selten mit Darmbeschwerden oder Blähungen zu tun hat, ist es eher unwahrscheinlich, dass eine Fettverdauungsstörung vorliegt.

Gibt es eine Basis an Mikronährstoffen, die sowieso jeder Mensch in Zeiten vermehrter Virus-Belastung vorbeugend täglich zu sich nehmen sollte?

Die wichtigsten Nährstoffe sind die „Big Six“, wie ich sie nenne, die bei Long Covid, aber auch präventiv  eingenommen werden können: Vitamin D (5000 IE), Vitamin A (3000 IE), Vitamin C (1,5 g), Zink (15 mg), Selen (100 mcg) und Omega 3 (EPA/DHA, 2 g). Hätte jeder vor und während der Corona-Zeit diese Substanzen eingenommen, wäre die Pandemie wesentlich schwächer verlaufen oder sogar ausgeblieben. Und noch ein Extra-Tipp: Bei akuten Infektionen sollte sofort, also bei den allerersten Symptomen, zu Zink gegriffen werden, alle zwei Stunden eine Zink-Tablette mit zehn bis 15 Milligramm, damit kann die Dauer eines Infekts fast auf die Hälfte verkürzt werden. Dazu nimmt man noch zusätzlich ein Gramm Vitamin C zweistündlich. Am zweiten Tag nimmt man das Zink noch dreimal täglich. Somit können viele Infekte schon im Keim erstickt werden.

Wie lange dauert eine solche orthomolekulare ­Therapie bei Long Covid?

Der Patient kommt nach drei Monaten wieder, und wir schauen, ob wir die Werte in den Normbereich gebracht haben. Manchmal muss man dann noch nachoptimieren. Nach weiteren drei Monaten ist in den meisten Fällen eine wesentliche Besserung eingetreten.

Welche Therapien wenden Sie außerdem noch an?

Bei Fatigue haben wir erste beachtliche Erfolge mit der Ozon-Eigenblut-Therapie erzielt. Dafür wird Blut entnommen, mit kleinen Mengen Ozon versetzt und zurück in den Blutkreislauf gegeben. Der Körper bemerkt, dass er einen Schaden reparieren muss, das heißt, seine Abwehrmechanismen werden angeworfen und stimuliert. Alternativ zu der Ozon-Eigenblut-Therapie haben wir übrigens auch mit Vitamin-C-Infusionen schon sehr gute Erfolge gehabt. Viele meiner Patienten haben durch diese speziellen therapeutischen Maßnahmen eine erhebliche Verbesserung ihres gesundheitlichen Zustands erlebt. In vielen Fällen muss man jedoch schon eine große Portion Geduld aufbringen, da die empfohlenen Stoffe einige Monate benötigen, bis sie wirken. Der beschriebene Patient brauchte nur knapp vier Monate dazu, viele andere aber sechs Monate oder auch länger bis zur vollständigen Rekonvaleszenz.
/Das Gespräch führten Dr. Frieder Stein und Monika Hopfensitz