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Schmerzen im Rücken sind (auch) Kopfsache

Wo entstehen Schmerzen? Die aktuelle Forschung gibt darauf eine Antwort, die zunächst überraschen mag: Jeder Schmerz entsteht im Kopf. Ein schlagendes Beispiel sind Rückenbeschwerden. Sie werden mindestens so sehr von Gedanken und Gefühlen verursacht wie von verhärteten Muskeln oder eingerissenen Bandscheiben. Wenn wir verstehen, wie das Gehirn den Schmerz „erlernt“, können wir ihm auch beim „Verlernen“ helfen. Dies eröffnet neue Therapieansätze, nicht nur bei chronischen Rückenschmerzen. Die Verhaltensmedizin beruft sich dabei unter anderem auf verblüffende Einzelfälle akuter Schmerzwahrnehmung.

Schmerz und Schaden ist nicht dasselbe

Den Unfallchirurgen erwartete eine Überraschung. Die Spitze des fingerdicken, rostigen Nagels ragte oben aus dem Sicherheitsschuh des kräftigen Bauarbeiters.  „Der Mann hatte fürchterliche Schmerzen“, erinnert sich Dr. Oliver Bachmann, damals noch in der Notaufnahme tätig. „Wir mussten ihn sogar unter Narkose setzen, um ihm den Schuh ausziehen zu können.“ Doch dann zeigte sich: Der Nagel war zwischen der Großzehe und dem zweiten Zeh durchgegangen, nicht durch den Fuß selbst: „Der Fuß war gar nicht verletzt“.

Dieses Erlebnis – ein fürchterlicher Schmerz, ohne dass tatsächlich eine Verletzung vorlag – hat Dr. Bachmann sehr beeindruckt und den Chirurgen schließlich motiviert, sich auf Schmerzbehandlung zu spezialisieren. Denn Schmerz ist nicht gleich Schaden. „Ich habe fast drei Jahre gebraucht, um zu erfassen, was bei Schmerz alles chemisch, biologisch und psychisch abläuft.“

Heute ist Dr. Bachmann Chefarzt des Rückenzentrums an der Hamburger Asklepios Klinik St. Georg, wo das Kreuzweh von zwei Seiten angegangen wird: mit konservativer Behandlung für den Rücken – aber eben auch vom Kopf her, mit einer individuell auf die Betroffenen und ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Therapie.

Die Forschung weiß inzwischen: Damit Schmerzen zu einem anhaltenden Problem werden können, braucht es oft weit mehr als einen körperlichen Schaden, und in Einzelfällen nicht einmal den. Tatsächlich diagnostizierte Schäden in unserem Körper und vermeintliches Wissen über deren gesundheitliche Folgen, aber auch unsere Überzeugungen und gesammelten Erfahrungen, Ängste, innerer und äußerer Druck, ja selbst Stimmung und Lebensziele haben Einfluss darauf, wie unser Gehirn Problemsignale aus dem Körper verarbeitet – ob es sie verstärkt, dämpft oder gar aussortiert. „Schmerz findet im Kopf statt“, betont Dr. Bachmann, „und das gilt auch für den Rückenschmerz, selbst wenn das für viele Menschen besonders überraschend ist.“

Was das Gehirn aus Problemmeldungen macht

Wohl keine andere Struktur im Körper bietet sich so sehr wie die Wirbelsäule an, ein Problem darin als Schmerzauslöser zu vermuten. Hat man nicht bei der Gartenarbeit den schweren Blumentopf gehoben, und bald danach schoss der Schmerz unten in den Rücken? Hat nicht vielleicht die mechanische Überlastung eine der Bandscheiben geschädigt, die oft als so empfindlich porträtierten Puffer zwischen den Wirbeln? Das Gehirn und erst recht die Psyche werden bei der Suche nach den Ursachen meist voreilig ausgeklammert. Was sollen denn Kreuzschmerz und Bandscheiben mit dem Kopf, mit Geist oder Seele zu tun haben?

Wie intensiv wir Schmerzen empfinden, wird dabei nur zum kleineren Teil von dem bestimmt, was von der Peripherie über sensible Nervenendungen, die sogenannten Nozizeptoren, an Schäden gemeldet wird. Die Regie mit Sitz im Gehirn nimmt zwar Ideen von außen auf, aber sie bestimmt, was sie daraus macht und wie tief wir in den Schmerz getaucht werden. Großen Einfluss darauf haben unsere Überzeugungen, das gilt umso mehr, je länger die Schmerzen anhalten. Die Folge: Mit dem, was wir denken und nun meinen, tun oder nicht tun zu müssen, verschlimmern wir aktiv den Rückenschmerz – ohne Frage, ohne es zu ahnen. Statt unsere Selbstheilung zu fördern, wird sie von uns torpediert.  

Selbstheilungskräfte statt Schadenfahndung

Rückenschmerzen sind zwar einer der häufigsten Gründe für Arztbesuche, in den allermeisten Fällen verschwinden sie aber von selbst wieder. Der menschliche Organismus verfügt nämlich auch am Rücken, an der Wirbelsäule, über Selbstheilungskräfte, die eine Störmeldung in Richtung Gehirn immer schwächer werden lässt, oft bis sie ganz verschwindet. Das gilt sogar für „Strukturschäden“. Der ausgelaufene Gallertkern einer Bandscheibe wird abgebaut, dem gereizten Nerv so wieder Luft verschafft. Wirbelsäule, Muskulatur, Sehnen und Bänder sind darauf ausgelegt, wieder ein harmonischeres Zusammenspiel zu finden, wenn sich im Gefüge etwas verändert hat, gerade auch bei alterungsbedingten Veränderungen.

Schon dieses Wissen um Rückenschmerz kann Anlass zu Erleichterung sein, Grund für weniger Sorge, wenn der Rücken mal protestiert.

Verläufe und Prognose könnten deshalb oft noch viel günstiger sein, wenn Verstand und Psyche grundsätzlich in die Rückenschmerz-Behandlung einbezogen würden. Insbesondere verfestigte Überzeugungen des Patienten zu hinterfragen, würde auch das Risiko einer Chronifizierung, einer Verselbstständigung der Schmerzen, selbst wenn ein möglicher Anlass längst verschwunden ist, frühzeitig reduzieren.

Die Suche nach dem Schaden im Körper führt hingegen häufig auf den Holzweg. Nicht umsonst raten die auf Basis hochwertiger wissenschaftlicher Studien erstellten Behandlungsleitlinien für Ärzte bei typischem Rückenschmerz zunächst von Kernspin ab, ja selbst von Physiotherapie. Sie empfehlen nur die Verschreibung eines wirksamen entzündungshemmenden Schmerzmittels. Erst wenn nach vier Wochen keine Besserung eingetreten ist, können Kernspin und weitere Therapien sinnvoll sein. Vorher ist es wahrscheinlich, dass mehr Diagnostik und Behandlung nichts bringt oder sogar eine Maschinerie in Gang gesetzt wird, die mehr schaden als nützen kann, wie beispielsweise eine überflüssige Operation.

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Illustration: Dennapa / shutterstock.com; smile3377 / iStock.com