Starke Pflanzen gegen Viren und Bakterien
Penicillin & Co. haben vielen Menschheitsseuchen ihren Schrecken genommen. Heilpflanzen als Mittel gegen Infektionen schienen eine Zeitlang überholt. Doch seit immer mehr Bakterien Resistenzen gegen synthetische Antibiotika entwickeln, stehen ihre pflanzlichen Vorgänger vor einem Comeback. Und in Zeiten immer neuer Viren werden auch deren natürliche Gegenspieler immer interessanter. Dabei überzeugen so manche davon nicht nur mit Wirksamkeit und besserer Verträglichkeit, sie ermöglichen es auch, friedlicher und gesünder mit der uns unvermeidlich umgebenden Mikrobenwelt zusammenzuleben.
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Wer über eine wilde Wiese streift oder durch einen Wald, ahnt den Einfallsreichtum und die Kreativität der Pflanzenwelt. Was für eine Vielfalt hier doch herrscht – und das nicht nur in Hinblick auf die unzähligen Wuchsarten, Formen und Farben. Auch was sich im Inneren der Pflanzen abspielt, übertrifft unsere Vorstellungskraft und, bis jetzt zumindest, unsere Fähigkeit, die Wirkungen eingehend zu erforschen. Denn Pflanzen beschränken sich nicht etwa darauf, Stoffe für ihren Aufbau und ihre Funktion herzustellen, von denen uns viele als unersetzliche Nährstoffe dienen. Jede Pflanzenart bildet darüber hinaus auch ein für sie charakteristisches Potpourri an Substanzen. Bisher haben Forscher 200 000 solcher sogenannter sekundärer Pflanzenstoffe identifiziert, von denen viele Bakterien und Viren hemmen – und das müssen sie auch, denn mit diesen Immunstoffen schützen sich die Pflanzen vor Mikroben, die nur darauf warten, sie zu zersetzen.
Uraltes Wissen um die Heilkraft bei Mensch und Tier
Die Verwendung von Heilpflanzen bei Infektionen und mikrobiologischen Belastungen ist älter als die Menschheit. Schon Tiere tun es seit eh und je. Forscher haben beobachtet, dass etwa Schimpansen ein Drittel der von ihnen verzehrten Pflanzenarten vornehmlich wählen, um pharmakologische Wirkungen zu erzielen – oft, um Mikroben einzudämmen. Der Übergang zwischen Nahrung und Arznei ist bei vielen verzehrten Pflanzen fließend.
Auch bei den Menschen muss Kräuterwissen über stark antibiotisch wirkende Pflanzen schon in der Steinzeit vorhanden gewesen sein. Aus jener Zeit gibt es zahlreiche archäologische Belege von operativen Schädelöffnungen, die offenbar anschließend verheilt sind. Nachweislich überlebte ein Großteil der Menschen nach diesen sogenannten Trepanationen. Die hohe Heilungsrate solcher OP-Wunden ist ohne stark antibiotische Kräuter nicht zu erklären. Auch Sushruta, der als erster indischer Chirurg gilt, hätte vor mehr als 2000 Jahren wohl nicht so erfolgreich operieren können, hätte er keine pflanzlichen Antibiotika gehabt. Er beschrieb gut 300 Operationen, darunter Kaiserschnitt und Nasenplastik.
Wenn der heilkundige Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897) Mitte des 19. Jahrhunderts befand, „gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen“, dann schloss er fraglos auch Infektionskrankheiten ein. Die hatten damals eine weit höhere Bedeutung als heute. Kneipp selbst war an Lungentuberkulose erkrankt. Auch wenn die Ursachen, also Bakterien und Viren als Krankheitserreger, noch nicht gesichert waren, zeigte die Erfahrung doch die Wirkung bestimmter Kräuter gegen verschiedene Krankheitsbilder, die sich später als Infektionen herausstellen sollten. Gleiches gilt für die Feststellung, die Paracelsus (1493–1541) im 16. Jahrhundert traf: „Alle Wiesen und Matten, alle Berge und Hügel sind Apotheken.“ Auch er muss unter anderem pflanzliche Antibiotika und Virenhemmer gemeint haben.
Die Stärken pflanzlicher Antibiotika und Virenhemmer
Nachdem die moderne Medizin die pflanzliche Heilkunde scheinbar abgelöst, sie oft belächelt und für kaum wirksam erklärt hat, könnten Heilpflanzen derzeit auch in der konventionellen Medizin vor dem Comeback stehen: Als Ideengeber für neue Wirkstoffe, aber auch, um diese entscheidend zu ergänzen oder sie sogar ganz zu ersetzen. Denn nun, da die meisten der klassischen Antibiotika viel von ihrer Schlagkraft verloren haben (siehe Kasten rechte Seite), hoffen Forscher im so reichen Arzneischatz der Pflanzen neue Mittel gegen die einzelligen Lebewesen zu finden. Aber auch nach Stoffen, die Viren unschädlich machen, wird gefahndet.
In Pflanzen ist eine ganze Reihe von Substanzen aktiv, die Bakterien an verschiedenen Stellen in ihrem Unterfangen stören. Und das ist gut für uns, denn werden die Erreger an mehreren Punkten attackiert, ist es für sie viel schwerer, Resistenzen zu bilden. „Eine passende Genmutation, die resistent macht, ist ohnehin recht unwahrscheinlich“, erklärt Professor Dr. med. Bernhard Uehleke aus Berlin, einer der führenden Experten für Pflanzenheilkunde. „Für eine zeitnahe zweite ist die Wahrscheinlichkeit dann noch vielfach geringer, um mehr als den Faktor tausend.“ Antimikrobiell wirkende Pflanzen können aber noch viel mehr. So attackiert beispielsweise der oft bei Husten angewandte Thymian nicht nur Bakterien direkt, er wirkt auch schleimlösend und sorgt dadurch dafür, dass die Erreger an den Schleimhäuten der Atemwege leichter abrutschen. Der gelbe Enzian wiederum wirkt nicht nur antibakteriell auf der Haut. Er regt auch die Keratinozyten zu vermehrter Fettbildung an. Dies dient der Wiederherstellung der Hautbarriere, sodass weniger Krankheitskeime eindringen können.
Die Stärke der Pflanzen liegt also in der Komplexität ihrer Wirkweise, weniger in dem einen oder anderen Inhaltsstoff. Das zeigt beispielsweise auch Oregano mit seinen antimikrobiotischen Hauptwirkstoffen Carvacrol und Thymol. Die beiden wirken zusammen in niedriger Dosis stärker als einzeln in höherer Dosis, das heißt, sie verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung, außerdem sind sie in natürlicher Mischung besser verträglich. Der Grund: Als isolierte, hoch dosierte Einzelstoffe, wie sie der analytische Ansatz einer reduktionistischen Wissenschaft fordert, sind sie für uns und die Umwelt biologisch neu. An die Aufnahme von Wirkstoffmischungen, wie sie in Heilpflanzen zu finden sind, hat sich unser Organismus hingegen während der Evolution genau angepasst, schon weil die pharmakologischen Wirksubstanzen auch in vielen Nahrungsmitteln, wie Knoblauch, Rettich, Oregano, aber auch Kohl und wilden Beeren stecken.
Fraglos bedeutet die Anpassung über die Evolution aber nicht, dass alle Kräuter und Pflanzenteile für uns gesund sind. So manche sind bereits in geringerer Dosis lebensbedrohlich. Aber wir nehmen schon gewohnheitsmäßig eine für unsere Spezies gesunde Auswahl von pharmakologisch wirksamen, auch antibiotischen Pflanzenstoffen mit unserer Nahrung auf. Die vertragen wir nicht nur, wir brauchen sie, richtig eingesetzt, zur Wiederherstellung unseres inneren Gleichgewichts, der Homöostase. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur altes Kräuterwissen wiederzuentdecken, sondern auch das Potenzial von Heilpflanzen in der Therapie von Infektionen noch viel intensiver mit modernen Mitteln zu erforschen.
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Foto: sistermic